Die Gemeinschaftsausstellung von Südtiroler und Nordtiroler Künstler*innen in der Stadt Galerie Brixen ist ab sofort als virtueller Rundgang zugänglich
Mit der letzten Ausstellung „il dolore del presente – eine Ausstellung Südtiroler und Tiroler Künstler und Künstlerinnen“ beschließt Karin Pernegger als Gastkuratorin der Stadt Galerie Brixen ihre Arbeit für den Südtiroler Künstlerbund. Das Ausstellungsjahr 2020 war geprägt von der Pandemie und ihren notwendig gewordenen Schutzmaßnahmen, die wesentlich unser privates und öffentliches Leben verändert und strukturiert haben. Worte wie systemrelevant und Lockdown bestimmten das Tagesgeschehen in den Medien und begleiteten uns im schmerzlichen Verlust der zahlreichen Pandemieopfer in Italien und weltweit. Gefasst im Schmerz des anwesend Seins, versucht die Ausstellung diesem Jahr nochmals nachzuspüren, um der Themenspange der vorausgegangenen Ausstellungen „ohne Euch geht gar nichts“ und „Emphatisanten“ einen Abschluss zu geben.
Aus den Erfahrungen des ersten Lockdowns wird das Architekturbüro bergmeisterwolf gebeten, für Brixen eine Kunsthalle ohne Strom und Sanitäranlagen zu bauen, die im Zuge eines weiteren Lockdowns Mitarbeiter*innen und Besucher*innen freundlich 24 Stunden offen haben kann. Unter der Mithilfe von Fischnaller Stahl & Glas GmbH in Villnöß, barth innenausbau in Brixen und der Lichtfabrik aus Halotech Innsbruck konnte der Kunstwerfer – riflettore d´arte mit drei Standorten für Brixen ins Leben gerufen werden, die mit einer Eröffnungsausstellung von Peter Senoner (1970, Bozen) bespielt werden. Die drei mobilen Ausstellungseinheiten, deren Prototyp auch in der Stadt Galerie Brixen zu sehen ist, verwandeln das institutionelle Ausstellungsgeschehen in eine mobile Ausstellungsbox, die nochmals die Erfahrungen der Covid 19 Pandemie aufgreifen und den öffentlichen Raum als Begegnungsort der Kunst – unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen – erlebbar macht.
Ein Modell eines fiktiven Kulturzentrums entwickelte der Künstler und Imker Josef Rainer (1970, Brixen) ebenfalls im Zuge des ersten Lockdowns. Mit seinen Bienen baute er eine aus Wachswaben bestehende Struktur, die in der Ausstellung zu sehen ist und die Notwendigkeit eines lebendigen Austauschs in der Kunst- und Kulturszene unterstreicht. Die Abwesenheit der Kunst im Dialog des öffentlichen Geschehens, kommentiert er auch mit seiner zeitgleich entstandenen s/w Fotoserie „Hidden sculptures“, indem er an unterschiedlichen Orten antike Figuren – Apollo von Piombino, Discolobus von Myron, Kroisos von Anavyssos und Poseidon von Kap Artemision – als lebendige und temporäre Denkmäler nachstellte.
Formal ergänzen sich die Wabenstrukturen des Kulturzentrums Rainer´s mit den drei, schwarz/ weißen Leinwandarbeiten von Christoph Hinterhuber (1969, Innsbruck). Sie thematisieren den berühmten Vortrag „Ornament und Verbrechen“ (1908) von Adolf Loos, der im Dezember seinen 150. Geburtstag feiert und zu einer Architekturikone seiner Zeit zählt. Vor allem vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Pandemie wird Hinterhubner´s Untersuchung der Loos´schen Gesellschaftsutopie zum Spiegel der globalen Krise, u.a. der Diskussion über den Wert künstlerischer Arbeit als Handwerk, denn als Marktwert zu bemessen.
„ICH BIN GANZ RUHIG“ steht in weißen Buchstaben auf roter Fahne von Hans Knapp (1945, Brixen) und hängt in der Schaufensterauslage der Stadt Galerie Brixen. Das Rot der Fahne signalisiert Aufmerksamkeit und unterstützt das Paradoxon zum Fahnentext, nicht besser die gegenwärtige Zeit unserer Gesellschaft kommentiert. Das Erfassen unterschiedlicher Zeitebenen zieht sich konsequent durch sein Werk und kondensiert auch mit dem Titel der zweiten Fahne „... aber so einfach ist es nicht immer“ den Ausstellungstitel als widersprüchliches Echo des derzeit nicht möglichen Dialogs zwischen Kunst und Betrachter*in.
Besonderen Schwerpunkt erhält die Ausstellung mit dem Medium der Malerei, dem sprichwörtlichen Atelierfenster zur Seele des*r Künstlers*in. Jene Dopplung des Atelier- und Malraumes bestimmen die eindringlichen Leinwände von Alessandro Del Pero (1979/ Bozen). Eine weibliche Figur sitzt verlassen in einem Raum und nur die Reflektion des Spiegelbilds eines gerahmten Gemäldes neben ihr, lässt die Vermutung offen, dass eine weitere Person den Raum betritt. Auch wenn der Spannungsbogen im Moment des Eintretens des Unbekannten liegt, bleibt die Referenz auf die uns alltäglich gewordenen Zugangsbeschränkungen und die Personenanzahl, die das öffentliche Leben sprichwörtlich abzählbar gemacht haben und unsere alleinige Anwesenheit in Covid 19 Zeiten zum kalkulierbaren Risiko errechnen.
Das physische Erleben zwischen Transzendenz und Raum erweitern auch die weiteren malerischen Arbeiten, die zum Selbstbild der künstlerischen Praxis werden. In psychologischer Akribie ergründet Cornelia Lochmann (1985/ Bozen) den Malraum mit ihrem zuletzt fertiggestellten Bild „Höllenfeuer“. Ein Festhalten an Erinnerung und Trauer verarbeitet Susanne Kircher Liner (1976/ Schwaz) mit „Apparat Exit 4 (Tod meiner Oma)“, indem sie die körperliche Transformation eines Abschieds von einer geliebten Person in einen Malraum übersetzt. Daran knüpft auch das Selbstbildnis als Schmetterlingssammlerin an, indem das Vanitas Motiv des Schmetterlings die Flüchtigkeit unseres physischen Seins zitiert.
Das psychologische Kreisen um die menschliche Existenz vibriert auch in den grafischen Arbeiten von Benjamin Zanon (1981/ Lienz), der mit Tusche Worte wie Liebe und Einsamkeit zu kartografischen Landschaften verfließen lässt, die in ihrer Struktur und Wahrnehmung den Worten neuen Raum erschafft. Eine Ebene, die auch Heidi Holleis (1974/ Innsbruck) mit ihrer Arbeit „I wish it was“ kommentiert. Mit dem Begriff der Hauntology von Jaques Derrida setzt sie mit malerischen Mitteln auf eine Überlagerung von Zeitebenen, die in einem Sampling gleich unterschiedliche Zitate unserer Pop-Kultur in Derrida´s Worten als „Heimsuchung“ der Gegenwart mit Ideen der Vergangenheit befüllt.
Das Innsbrucker Performance Kollektiv EXPERIMENTAL SETUP hat mit ihrer Installation „Seele“ die Abwesenheit des künstlerischen Interventionsraum thematisiert und plant im Sinne der hier vorgestellten Austauschausstellung zwischen Südtiroler und Tiroler Künstler*innen eine Performance im geschlossenen Ausstellungsraum, die jedoch auf Basis der Einreisebeschränkungen bis auf weiteres ausgesetzt ist. Der Schmerz des Anwesendseins kommentiert hier nochmals die Referenz des Ausstellungsjahrs 2020.
Abschließend präsentiert die Ausstellung auch das Kooperationsprojekt zwischen Südtiroler Künstlerbund und dem Tourismusverband Brixen. Hierzu wurden die Künstler der beider vorangegangenen Ausstellungen eingeladen, jeweils in Kooperation mit einem Partner aus Handel, Gastronomie und Hotellerie in Brixen eine Kunsttasche zu gestalten.
Autorin Karin Pernegger